Anders Loben

Beitrag einer Psychotherapeutin, gemeinsam mit unserer Pikler Pädagogin Claudia Goudemond
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Anders Loben

„Bravo! Das hast du gut gemacht!“

Das Loben junger Kinder ist tief in unserer Kultur verankert. Die meisten von uns Erwachsenen sind damit aufgewachsen und bemerken möglicherweise gar nicht was das vielleicht in ihrem Leben bewirkt hat.

Viele von uns als Eltern rufen ermunternde Worte wie „Super“, wenn das Kind gerutscht ist oder „Toll mein Schatz“, wenn es beschließt sein Spielzeug zu teilen. Das Lob ist hier Ausdruck von Freude über das Verhalten der Sprösslinge. Die Eltern möchten ihrem Kind ihre Zuneigung ausdrücken und ihm gleichzeitig zu verstehen geben, welches Benehmen erwünscht ist. Daran kann doch nichts verkehrt sein? Oder?

Allgemein wollen Eltern nur das Beste für ihre Kinder und wenn sie diese loben, geschieht es aus der Überzeugung heraus, das Lob tue ihren Kindern gut…
Allerdings zeigen eine ganze Reihe Studien, dass es sinnvoll sein könnte einen genaueren Blick auf unsere Art des Lobens zu werfen.

Lob senkt die intrinsische (innewohnende) Motivation, kann also dazu führen, dass gelobtes Verhalten nicht dauerhaft gezeigt wird.

Unser Gehirn schüttet bei Bestätigung Dopamin und Oxytocin aus. Davon will der Körper mehr. Das Kind tut das, wofür es gelobt wurde, weil es erneut das Lob der Eltern will und nicht, weil ihm die Tätigkeit an sich Freude bereitet. Das nennt sich operante Konditionierung.

Das Verhalten wird beibehalten, um den angenehmen Stimulus aufrecht zu erhalten. Das Kind wird demnach extrinsisch, also von außen, anstatt intrinsisch, von innen, motiviert. Nun ist aber bestens belegt, dass das Verhalten eher dauerhaft beibehalten wird, wenn wir intrinsisch motiviert sind. Bei extrinsischer Motivation bleibt, sobald der motivierende Faktor entfällt, meist auch die gewünschte Reaktion aus. Darüber hinaus schwächt die Wirkung extrinsischer Motivation mit der Zeit ab. So gab es beispielsweise in einer Studie von Joan Grusec (1991) eine negative Korrelation zwischen dem Grad des Lobes für prosoziales Verhalten und dem Umfang in dem Kinder genau dieses Verhalten später zeigten. Sprich Kinder, die dafür gelobt wurden, dass sie hilfsbereit waren, waren dies als das Lob ausblieb deutlich weniger als zuvor und als die Vergleichsgruppe.

Selbst bei Kindern, die zu Beginn eine hohe intrinsische Motivation haben, kann Loben auf Dauer das Gegenteil bewirken. Es kommt zum sogenannten „Korrumpierungseffekt“. Nicht mehr ihr Streben nach Autonomie und Kompetenz, der Basis der intrinsischen Motivation, steht im Vordergrund, sondern der Wunsch nach einem Lob. Dies zeigt unter anderem die viel zitierte Studie von Leeper, Greene und Nisbet aus dem Jahre 1973, bei der die Kinder für ihre Zeichnungen gelobt wurden. Ihre Motivation, überhaupt zu malen und die Qualität ihrer Bilder nahm in der Gruppe der Kinder, die Lob erhielten, deutlich ab.

Lob kann dazu führen, dass Kinder sich vor Herausforderungen scheuen. Der „Effort Effekt“, festgestellt von der Psychologin Carol Dweck der Stanford University beschreibt, dass Kinder, die für ihren Erfolg gelobt wurden, lieber einfachere Aufgaben auswählten, um das positive Bild von sich aufrecht zu erhalten und um nicht zu riskieren beim nächsten Mal nicht mehr gelobt zu werden. Dabei ist es natürlich langfristig für die Entwicklung neuer Fähigkeiten wichtig, sich Herausforderungen stellen zu wollen.

Dieses Phänomen zeigt sich ebenso in einer Studie von Zhao, Heyman, Chen und Lee aus dem Jahre 2014 . Die Autoren stellen in ihrer Studie „ability praise“, also das Loben der uns innewohnenden Fähigkeiten, dem „performance praise“, wie sehr wir uns angestrengt haben, gegenüber. Vor allem das Lob der Fähigkeiten („ Bravo, Du bist so intelligent“, „Wow, du kannst gut malen“, etc.) führen dazu, dass die Belobten lieber keine Herausforderung annehmen, um ihren Status nicht zu riskieren.

Manche Menschen fühlen sich durch Lob unter Druck gesetzt.
Sie wollen ihr Gegenüber nicht enttäuschen und versuchen dessen Meinung über sich aufrecht zu erhalten. Dies gelingt ihnen in dem sie nur die Dinge tun, von denen sie annehmen, dass sie ihnen gelingen, beziehungsweise dem Bild entsprechen die der Lobaussprechende von ihnen hat.

Lob schwächt das Selbstbewusstsein.
Brummelman und Kollegen von der Universität Utrecht konnten zeigen, dass das Loben vor allem auf Kinder mit niedrigem Selbstbewusstsein einen negativen Impakt hat. Diese neigten in ihrer Studie zu Rückzugsverhalten und trauten sich noch weniger zu.

Je älter die Kinder werden, je seltener werden sie gelobt. Nun ist dies aber vor allem für jene Kinder, die sich an einen stetigen Fluss der Lobpreisung gewöhnt haben, eine Enttäuschung, wenn diese ausbleibt. Das Gehirn von Kindern, die viel gelobt wurden, ist an die regelmäßige Ausschüttung von Oxytocin und Dopamin gewöhnt. Nicht mehr gelobt zu werden, macht diese Kinder dann sehr traurig. Sie fragen sich, warum sie nicht mehr im gleichen Umfang gelobt werden und beziehen es oftmals auf einen Fehler ihrerseits, was unter anderem ihr Selbstbewusstsein schwächen kann.

Die Stanford Psychologin Carol Dweck fand des Weiteren heraus, je älter die Kinder waren, die gelobt wurden, desto mehr fragten sie sich, ob mit ihnen etwas nicht stimme, dass man sie loben müsse. Eine Aufgabe für uns Erwachsene, um uns desbezüglich einmal gut zu beobachten. Wie reagieren wir selbst auf Lob und was denken wir über das Lob, welches wir gerade erhielten?

Lob ist wertend.
Alfie Kohn schreibt: “the most notable aspect of a positive judgment is not that it is positive but that it is a judgment”. Dies führt dazu, dass der Lobaussprechende die Definitionsmacht hat. Die Eltern entscheiden, was gut und was schlecht ist. Erst einmal könnte man ja jetzt denken, dass dies doch gar nicht verkehrt ist. Kinder brauchen doch eine Anleitung. Aber wodurch – worüber bekommt ein Kind Anleitung, wodurch lernt das Kind eigentlich? Ganz klar lernt das Kind vor allem in den ersten sieben Lebensjahren vorwiegend durch Nachahmung und nicht durch unsere verbale Ansprache, um z.B.: neues soziales Verhalten zu erlernen. Das Kind sieht was wir tun, sagen, miteinander sprechen, unsere Hausarbeit erledigen, das Handwerk erledigen, ob wir selber motiviert sind, etwas Neues zu erlernen und unseren Spaß am Leben.

Lob entfernt die Kinder vom eigenen Erleben.
Warum haben die Eltern dieses „Bild“ überschwänglich gelobt, jenes aber scheinbar nur halb so viel? War das Bild gestern schöner als das heute? Kinder stellen sich solche Fragen, wenn auch nicht immer bewusst, so doch zumindest unbewusst. Ihre eigene Urteilsbildung ist noch schwach ausgeprägt und sie entfalten diese erst mit der Zeit und vor allem durch unser Vorleben. Um sie in der eigenen Meinungsbildung zu unterstützen wäre es demnach viel interessanter Reflektionen anzuregen: Was denkt das Kind über das Bild, das es gemalt hat? Hatte es Spaß am Prozess? Wie fühlt es sich an, das eigene Werk zu betrachten? Diese Auseinandersetzungen sind für die Entwicklung der Kinder viel aufschlussreicher als ein: „Oh, was für ein tolles Bild. Das ist aber sehr schön geworden“.

Was aber sollen Eltern denn nun tun, die ihre Kinder liebevoll in ihrem Tun begleiten wollen?
Alfie Kohn empfiehlt in seinem Buch „Liebe und Eigenständigkeit“ einen Gegenentwurf zum klassischen Loben.
Er schreibt, man solle Kinder lieben für das was sie sind, wie sie sind und nicht für das was sie tun. Sie müssen sich unsere Zuneigung nicht erst verdienen.

Nicht zu loben bedeutet also nicht, sich nicht mehr über Erfolge ehrlich zu freuen und auch nicht ohne Reaktion als stiller Beobachter zu fungieren.
Stattdessen sollten wir versuchen zu sehen, was sie gerade tun. Ihr Verhalten beschreiben und Emotionen spiegeln. So lernen Kinder, was sie gerade getan haben, welche Emotionen sie gerade zeigen und wie diese heißen; eine Bestätigung von dem was gerade aktuell ist.

Um zu denen am Anfang des Artikels genannten Beispielen zurückzukehren, könnte man etwas in dieser Art sagen: „Du bist gerutscht und jetzt strahlst du über das ganze Gesicht. Hattest du Spaß?“ oder „Du hast dem Kind die Schaufel gegeben. Ist dir aufgefallen, wie seine Augen geleuchtet haben? Ist es dir schwergefallen, deine Schaufel abzugeben?“. Das sind natürlich nur Beispiele. Es geht nicht darum bestimmte Formulierungen zu imitieren, sondern darum, das eigene Kind wirklich zu sehen. Kinder verstehen nicht die Sprache, die aus einem Buch herausgenommen wird. Es sind Beispiele, um vielleicht seine eigene andere Sprache für sich zu entdecken. Durch Diskussionen über dieses Thema mit anderen, lernen wir unsere eigene Sprache zu reflektieren.

Unsere Sprache soll das Kind spüren lassen, dass wir bemüht sind, es zu verstehen und mehr über seine Sicht erfahren wollen. Vor allem sollte unsere Sprache aber authentisch sein. Des Weiteren sollte natürlich nicht permanent alles besprochen werden, denn Kinder brauchen nicht stets eine verbale Ansprache. Um eine Bestätigung von uns zu erhalten, bemerken die Kinder schon, ob wir sie gesehen haben in ihrem Tun, ihrem Spiel und ihrem sozialen Verhalten.

Sicherlich möchte nicht jede Familie gänzlich auf Lob verzichten. Nun sind einige Wissenschaftler, wie Flora (2000), bei älteren Kindern über 8 Jahren zu dem Schluss gekommen, dass das Lob dem Tadel überwiegen sollte, also 5x Lob und 1x Tadel. Genau wie Hart und Risley (1995, S.155) die schrieben ebenfalls 5x mehr Lob als überhaupt 1x einen Tadel. Doch letztere bemerkten ebenfalls, dass vor allem die Art der Kommunikation und die der Umgangsweisen der Eltern mit dem Kind entscheidend sind.

Da einige von uns Erwachsene mit dem Lob aufgewachsen sind, wie oben erwähnt und wir es gar nicht wirklich reflektiert wahrnehmen, ist es natürlich schwierig für jeden von uns, den richtigen Weg zu finden.

In der Pikler Pädagogik wird von jeher die Gegenwartssituation von uns Erwachsenen beschrieben, sodass die Kinder ihre eigene Lösung finden können und sollten sie Feedback oder eine Bestätigung suchen, gebe ich ihnen ein ehrliches Feedback. Ich bin davon überzeugt, dass Kinder, wenn sie gesehen werden und ihre Situationen sachlich beschrieben werden, sehr viel mehr Selbstbewusstsein aufbauen können, als wenn ich sie oft lobe oder dann natürlich auch Tadel.

Authenzität im Umgang mit den eigenen Kindern und auch im eigenen Umfeld erachte ich als wichtig. Das bedeutet, eigene Prozesse des Lobens – Nichtlobens und des Tadels bewusst wahr zu nehmen. Sollte ich mich als Eltern an die Regeln 5 zu 1 halten, bin ich nicht authentisch und das bemerken unsere eigenen Kinder sicher sehr gut.

Wir wünschen euch allen viel Spaß beim Diskutieren daheim oder mit anderen Müttern und Vätern.

Julia Stegmann
Psychotherapeutin, juliastegmann-psychotherapie.com

Claudia Goudemond
Bewegungs-Pädagogin, Pikler-Pädagogin und Mitarbeiterin der Initiativ Liewensufank.

Aus der Rubrik „Babys und Kleinkinder“ unserer Elternzeitschrift „baby info“ 1/2022


Quellen zum Text
Grusec, J. E. (1991):Socializing concern for others in the home. Developmental Psychology, 27(2), 338–342. https://doi.org/10.1037/0012-1649.27.2.338
Lepper, M. R., Greene, D., & Nisbett, R. E. (1973): Undermining children’s intrinsic interest with extrinsic reward: A test of the „overjustification“ hypothesis. Journal of Personality and Social Psychology, 28(1), 129–137.
https://doi.org/10.1037/h0035519
Krakovsky, M. (2007): The Effort Effect. Stanford Magazine https://stanfordmag.org/contents/the-effort-effect
Zhao, L. Heyman, G., Chen, L. & Lee, K. (2014): Praising Young Children for Being Smart Promotes Cheating. Psychological Science 28(2): 095679761772152 https://journals.sagepub.com/doi/10.1177/0956797617721529
Brummelman, E., Thomaes, S., Orobio de Castro, B., Overbeck, G., & Bushman, B. J.: “That’s not just beautiful – that’s incredibly beautiful!”: The adverse impact of inflated praise on children with low self-esteem. Psychological Science https://journals.sagepub.com/doi/abs/10.1177/0956797613514251
Dweck, C. S., & Reppucci, N. D. (1973): Learned helplessness and reinforcement responsibility in children. Journal of Personality and Social Psychology, 25(1), 109–116.
https://doi.org/10.1037/h0034248
Kohn, A. (1993): Punished by rewards: The Trouble with gold stars, incentive plans, A’s, praise, and other bribes. Houghton Mifflin.
Flora, Stephen Ray. (2000) Praise`s magic reinforcement ration: Five to one gets the job done. The Behavior Analyst Today, 1 (4), 64-69.PDF der Zeitschrift
Hart, B. & Risley. T. R. (1995) Meaningful Differences. Baltiomore, M.D: Paul H Brookes

Literatur zum Thema

Liebe und Eigenständigkeit – Alfie Kohn
„Die Kunst bedingungsloser Elternschaft jenseits von Belohnung und Bestrafung.“ Arbor-Verlag.