Die Selbstregulierung während des Spiels
Was kann unter dem Begriff der Selbstregulierung eigentlich verstanden werden?
Laut Lexikon bezeichnet es allgemeine Prozesse, bei denen ein System seine Funktion selbst anpasst. Dies kann geschehen, um eine Funktion aufrecht zu erhalten oder das System an neue Bedingungen anzupassen.
Und/oder
„Im Gegensatz zur Steuerung beschreibt der Begriff Regulierung lernfähige Systeme, die sich durch Rückkoppelung (Feedback) an veränderte Rahmenbedingungen anpassen und trotz sogenannter Störungen (Soll-Ist-Abweichungen) ihr (selbst gesetztes) Ziel erreichen können.“
Ein kurzer Ausschnitt aus der Psychologie, dort wird es folgendermaßen beschrieben:
„Gemeinsamer Nenner von Modellen der Selbstregulierung in der Psychologie ist, dass Menschen in der Lage sind, eigenes Verhalten im Hinblick auf selbst gesetzte Ziele zu steuern.“ (Quelle: Wikipedia)
Frederick Kanfer geht davon aus, dass Selbstregulierung immer dann einsetzt, wenn eine Person ein Ziel erreichen will und auf diesem Weg Hindernisse auftreten. Oder wenn ein gewohnter Verhaltensfluss unterbrochen wird. In beiden Fällen richtet der Betroffene die Aufmerksamkeit auf sein Verhalten.
Die Hauptkomponenten des Selbstregulierungsmodells nach Kanfer sind:
Selbstbeobachtung – Information über die eigenen Handlungen werden eingeholt
Selbstbewertung – Vergleich dieser Information mit allgemeinen Standards
Selbstverstärkung – Kontingenz,- positive oder negative Konsequenzen.
Es gibt also sehr viel darüber zu lesen und für mich, wie auch für viele andere, ist die Selbstregulierung des Menschen ein stetes, weiter zu lernendes Gut.
Nun möchte ich das Ganze gerne an einem Beispiel während des Spiels verdeutlichen.
Diese Beobachtung ist nun schon einige Jahre her und doch noch sehr gut bei mir im Gedächtnis verankert, da ich diese Spielsituation eines 5 Monate alten Säuglings, ich nenne sie Sofie, als sehr deutlich in Bezug auf die Selbstregulierung empfand.
Sofie lag, nach einer Phase bei ihrer Mutter auf dem Arm, nun auf dem Rücken. Neben ihr auf der linken Seite lag eine kleine blaue Salatschüssel, die sie mit ihren Blicken wahrnahm. Sie fokussierte diese erst mit den Augen und versuchte sie anschließend mit der linken Hand zu greifen. Auch nach mehrmaligen Versuchen gelang es ihr nicht. Sie gab allerdings nicht auf. Sofie versuchte es auf die von ihr gewählte Art und Weise ungefähr 5-6 Mal. Ich empfinde es schon als eine enorme Leistung, im Alter von 5 Monaten so viele Versuche hintereinander zu tätigen.
Nach einiger Zeit wurde sie unruhig und fand ihre Versuche nicht mehr so schön und bereichernd. Ihren Körper legte sie bei den Versuchen leicht auf die linke Seite. Doch als sie unruhig wurde, legte sie sich zurück auf den Rücken, strampelte wild mit den Beinen, drückte die Fersen in den Boden und legte ihre beiden Hände gefaltet vor ihren Mund. Eine Faust legte sie in den Mund und lutschte daran, die andere Hand hielt die Hand, die im Mund war. So verhielt sie sich für ca. 1-2 Minuten, legte sich dann wieder ruhig auf den Rücken, drückte dann die rechte Ferse in den Boden, so dass ihr Körper sich dadurch mehr zur linken Seite neigte. Ihre Körperhaltung veränderte sich also, so konnte sie ihrem Objekt, der Salatschüssel, ein wenig näher sein. Nun versuchte sie wieder mit der linken Hand die Schüssel zu greifen, was beim ersten Mal nicht ging. Sie „rückelte“ sich ein wenig mit dem Körper vermehrt zur linken Seite, hob ihre Hüfte leicht an, drehte ihren Körper noch mehr. Ihr linker Arm lag beinah unter ihr. Nun kam der rechte Arm, die rechte Hand und sie griff die Salatschüssel mit der rechten Hand. Sie war über ihr Ergebnis erfreut, legte sich auf den Rücken zurück und betrachte ihr Spielobjekt ausgiebig in der Rückenlage, bewegte und drehte sie, nahm sie näher zu sich heran und hielt sie wieder von sich fern.
Diese Spielsequenz habe ich damals notiert, da es für mich sehr gut widerspiegelt, wie Selbstregulierung aussehen und dass ein Säugling auf diese Art und Weise wunderbare Erfahrungen sammeln kann. Es ist im Vertrauen, dass seine Vertrauensperson in der Nähe ist und sie / oder er ihm bei seinen Versuchen zusehen kann. Sofie hätte jederzeit den Blickkontakt zu ihrer Mutter suchen und um Hilfe fragen können da sie vor ihr saß und ihr zuschaute. Doch Sofie tat es nicht. Sie wusste sehr gut, dass ihre Mutter in ihrer Nähe war und konnte voll Vertrauen ihren Versuchen nachgehen und auch unbewusst ihrer Selbstregulierung. Sollte sie mehr Unterstützung von ihrer Mutter erwartet haben, wäre sie sicherlich lauter und deutlicher in ihrer Kommunikation geworden.
Wir sehen hier eine Selbstregulierung des Säuglings, indem es sich selbst nach genügenden Versuchen zur Ruhe begibt, bzw. vom Spiel abweicht und auch ihre Emotionen herauslassen kann. Ihre Gefühlslage war recht stark und sie konnte sich selber durch das Nehmen ihrer Fäuste beruhigen. Auch ihrer Wut, die sie äußerte, konnte sie mit ihrem Körper Ausdruck verleihen, indem sie mit den Fersen in den Boden drückte, wild strampelte und zum Schluss ihre Hüfte hob. Danach legte sie die Hüfte wieder ab und nahm ihre Fäuste in den Mund. Als sie sich genug beruhigt hatte, nahm sie ihr altes Spiel wieder auf und veränderte doch tatsächlich ihre Körperhaltung und ihre Strategie. Es scheint so, als ob sie nicht nur ihre Wut herausgelassen und sich beruhigt hatte, sondern auch, dass sie während dessen einen neuen Plan hatte? Sicher können wir natürlich hier nicht sein, doch hatte es den Anschein. Abgesehen davon, dass sie ihre Selbstregulierung dadurch stärkte und sie wusste, wie sie das machen könnte, hat sie auch noch sehr viel über Handlungsplanung, zielorientiertes Handeln und Willensstärke gelernt. Ihre veränderte Strategie führte sie ja doch zu ihrem Ziel.
Wir konnten also Zeuge von Selbstbeobachtung,- Selbstbewertung und Selbstverstärkung werden. Auch konnten wir sehen, dass Sofie wie auch andere Kinder durchaus in der Lage sind, sich Ziele zu stecken, diese versuchen zu erreichen, bei Misserfolgen neue Pläne erstellen, um doch ihrem Ziel näher zu kommen und es dann zu erreichen.
Solche Momente des Zuschauens und Zeuge von solchen Handlungen zu sein, geben mir immer wieder die Bestätigung, dass schon Säuglinge stets lernen möchten und sie durchaus über Mechanismen der Selbstregulierung verfügen.
Eltern und andere Erwachsene lade ich gern mal ein, sich selbst bei ihrer Selbstregulierung zu beobachten.
Ein kleines Beispiel: Schauen Sie und spüren Sie einmal in sich hinein, wann sie Hunger und/ oder Durst haben und ob sie da differenziert beobachten können, ob es wirklich Hunger oder Durst ist?
Claudia Goudemond,
Bewegungspädagogin, PiklerPädagogin
Artikel aus der Elternzeitschrift „baby info“ 01/2020