Lernen aus eigenem Antrieb
Benötigt ein Kind Lob, um Kompetenzen zu erwerben?
Wenn ein Säugling zur Welt kommt, ist er bereits mit vielen Kompetenzen ausgestattet. Durch bewusstes Wahrnehmen des Kindes können wir erkennen, dass es sich selbst beispielsweise durch seine Fäuste, die es in den Mund nimmt, beruhigen kann. Diese Art der Beruhigung scheint anfangs noch reflexartig aus dem Inneren des Kindes zu kommen. Ein bewusstes in den Mund nehmen der Fäuste zur Beruhigung wird erst zu einem späteren Zeitpunkt aktiv vom Kind gesteuert.
Dennoch ist es eine Kompetenz, die der Säugling von früher Kindheit an mitbringen kann. Es scheint Bedarf zu geben für eine Kompetenz des Kindes, sich eventuell selbst zu beruhigen, indem es die Fäuste in den Mund nimmt. Unter anderem ist es natürlich auch ein innerer Trieb, mit den eigenen Fingern und Händen zu spielen. Sie nicht nur zur Beruhigung in den Mund zu nehmen, sondern ebenfalls, um daran zu lutschen, sie zu betrachten und zu zählen.
Sind es vielleicht schon die ersten mathematischen Zusammenhänge, die es dort erforscht?
Ich denke ja! Säuglinge erlangen auf diesem Weg Kenntnisse über die Menge ihrer Finger, ein Feedback darüber, wieviele Finger sie haben, wo sie sich befinden und wie diese zu erreichen sind. Es ist eine Freude, zu beobachten und anzuerkennen, wie schwierig es ist, wenn das Kind den Arm gegen die Schwerkraft anhebt und dann in der Höhe hält, um genussvoll an den Fingern und Fäusten zu lutschen.
Haben Sie den Blick eines Säuglings eingefangen und in Ihren Gedanken abspeichern können, wenn es zum ersten Mal seine Hand entdeckt? Ist es nicht eine reine Freude, mit dem Kind diese Entdeckerlust zu teilen? Wie verwundert sie schauen und welche Erkenntnis sie dann daraus ziehen, dass diese Hand die ihrige ist! Das Ganze sieht sehr mühelos aus, wenn sie auf dem Rücken liegend ihre Hände betrachten, und doch ist es, nebenbei bemerkt, eine exzellente Übung, welche die Muskulatur des Rückens, der Schultern, des Nackens unddes Bauches trainiert. Wie schnell gelingt es dann, die zweite Hand zu entdecken. Und wie beide Hände später dann miteinander verknotet zu sein scheinen. Das Kind spielt ausgiebig mit den Händen und bekommt stets eine Rückkopplung zum Gehirn von seiner soeben ausgeführten Tätigkeit. Dabei ist nicht zu vergessen: “Es ist ein langer Weg von der Hand zum Gehirn.“
Woher kommt der Antrieb des Kindes, wieder und wieder von vorn zu beginnen, seine Hände zu erforschen? Ist es eine INNERE LUST – eine INNERE Befriedigung – diesem Tun nachzugehen? Erst die eine Hand zu entdecken und dann die zweite, das sind kleine – große Meilensteine in ihrer Entwicklung. Jeden Tag entdecken sie neue Möglichkeiten an ihren und mit ihren Händen. Sie können in verschiedene Richtungen gedreht und stets wieder aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet werden. Die eine Hand kann die andere Hand halten, bzw auch mit dieser zusammen spielen.
Es werden verschiedene Grifftechniken und Manipulationen mit beiden Händen geübt. Die Techniken des Greifens werden im Spiel mit den Händen ganz nebenbei verfeinert und es kann beobachtet werden, dass die nächste Stufe entdeckt wird. So forscht das Kind immer weiter, um Neues zu entdecken. Das Spiel der Hände, wie das Kind mit seinen beiden Händen greift, bereitet auf das spätere Ergreifen von Gegenständen vor. So kann es vielleicht geschehen, dass die Säuglinge schon bevor sie einen neuen Gegenstand in die Hand nehmen, wissen, wie sie ihn eventuell greifen können.
Allerdings sollte hier beachtet werden, dass die Kinder erst ab ca. 8-9 Monaten ihre Greifbewegung auch visuell steuern. Manchmal sieht man in ihren Gesichtern die Frage, wie sie nun etwas ergreifen könnten. Das Kind möchte und kann vieles selbst entdecken und immer aufs Neue üben, bis es seine Tätigkeit verfeinert hat. Es ist unglaublich, mit welcher Ausdauer sie Aktivitäten, die sie erlernen möchten, nachgehen.
Dies kann ich als Erwachsener nur erkennen, wenn ich ihnen zuschaue und nicht aktiv in ihren Prozess des Erkennens und Lernens eingreife. Wie wäre es und was passiert, wenn ich dem Säugling etwas in die Hand geben würde? Hätte es dann noch die Möglichkeit, den Prozess des neuen Greifens und Überlegens zu üben? Die Frage: “Wie gelange ich mit meinem Körper an diesen Gegenstand, um ihn zu ergreifen,“ könnte nicht mehr gestellt werden. Das Kind hat etwas in der Hand und braucht keinen Lernprozess und keine Überlegungen mehr durchzuführen. Es kann geschehen, dass die Kleinen nicht mehr so selbstvergessen ihrem Spiel nachgehen. Und dass sie infolge dessen dieser eigentlich selbstregulierenden Tätigkeit – ich spiele, – ich pausiere,- ich spiele, etc. diese immer seltener ausüben. Vielleicht verlangen sie nun öfters von uns, ihnen etwas in die Hand zu geben?
Lernt das Kind so, konsequent an seinem Lernprozess festzuhalten? Ist es Lernen aus eigenem Antrieb, wenn ich dem Kind „helfe“?
Lernt es auf diese Weise eine gewisse Selbstregulation? Vielleicht konnten Sie sich nun bereits Fragen dazu beantworten? Gelingt es dem Erwachsenen, sich zurückzuhalten, dann kann beobachtet werden, wie oft ein Kind seinen eigenen Lernprozess stetig wiederholt, bis ihm die Tätigkeit zu seiner Zufriedenheit gelingt.
Nun habe ich hier lediglich das Entdecken der Hände beschrieben mit der vorangehenden Frage: Benötigt es Lob? Oder ist ein „Gesehenwerden“, genug für das Kind?
Schaue ich dem Säugling in seiner vorbereiteten Umgebung zu, wie er mit seinen Händen spielt, kann ich dabei etwas sehr Lustvolles, – Wollendes,- Befriedigtes in seinen Augen erkennen. Durch die stetigen Erfolge des ständigen Übens mit seinen Fingern und Händen erlangt der Säugling mehr Kompetenz und Fähigkeiten, auch mehr Interesse, um weiter an einer Sache zu arbeiten und diese zu erforschen. Etwas für mich sehr Wichtiges kann ich, ebenfalls durch das Zuschauen, sehen:
Die Kinder, welche sich selbst Übungsaufgaben stellen, zeigen weniger Frustration. Sie probieren 100 x dasselbe und verfeinern dadurch ihre Tätigkeit. Mag es auch für uns nicht mehr neu sein. Für die Kinder ist es eine stets neue Aufgabe, welche sie unzählige Male mit ihren immer wieder neu zu entdeckenden, unendlichen Möglichkeiten ausprobieren.
Es überrascht mich immer wieder, wieviele Möglichkeiten Säuglinge und Kleinkinder bei ein und demselben Versuch entdecken. Diese unendlichen, tausend und eine Möglichkeiten werden wir ihnen als Erwachsener wahrscheinlich nie anbieten können. Auch die Freude in ihren Gesichtern, wenn sie etwas für sich Neues entdeckt haben, ist eine intrinsische Motivation. Ein innerer Antrieb, der aus Lust und Freude am Lernen entsteht. Es ist also keine extrinsische Motivation, durch die das Kind nur lernt und motiviert ist, um belohnt zu werden oder einer Strafe zu entgehen. Dabei ist mir persönlich wichtig, dass das Ganze aus einer freiwilligen Lernselbstständigkeit heraus geschieht.
Claudia Goudemond,
Bewegungspädagogin, PiklerPädagogin