Eis zum Frühstück
oder warum wir uns das mit der Erziehung sparen können.
In diesem kurzen Beitrag möchte ich (Karin) einige Gedanken zu einem angenehmen und stressfreieren Leben mit Kindern darlegen, sowie für mehr Redlichkeit in der Diskussion um das, was dem Kindeswohl dient und was nicht, plädieren. Fangen wir beim Titel des Beitrages an. Letztens sind wir an einem sehr heißen Sommertag morgens aufgebrochen, um Brötchen zu holen. Auf Wunsch der Kinder (oder war es doch mehr unser Wunsch …?) sind wir schnurstracks zur nächsten Eisdiele und haben Eis besorgt und dieses genüsslich und mit viel Freude verspeist.
„Eis zum Frühstück“ ist nicht das, was man so landläufig unter einer richtigen Erziehung versteht.
„Eis zum Frühstück“ macht Spaß.
„Eis zum Frühstück“ ist anders, als an anderen Tagen und alles andere als ein geregelter Tagesablauf.
„Eis zum Frühstück“ ist lecker.
„Eis zum Frühstück“ ist für uns ein Ausspruch geworden, der besagt, dass Konventionen nicht gelten müssen. Ein schöner Tag und das entspannte Zusammensein, steht für uns über jegliche Moral und jedes vermeintliche „Kinder brauchen…“.
„Eis zum Frühstück“ ist der Ausgangspunkt um so manche erzieherische Selbstverständlichkeit neu zu hinterfragen.
Kinder brauchen KEINE Grenzen. Kinder brauchen Erwachsene, die ihre eigenen Grenzen kennen und vertreten. Erwachsene, die klar darin sind, was sie wollen, was sie gut und richtig finden und warum. Grenzen sind wichtig, ja, aber für wen? Klar gibt es Dinge, vor denen wir die Kinder schützen wollen und müssen, wie z.B. nicht auf die Straße laufen, die Tasse mit dem heißen Tee stehen lassen… . Das sind die Dinge, die eine reale Gefahr bedeuten.
Viele Grenzen setzen wir, weil uns Dinge wichtig sind. Das darf auch sein und ist in Ordnung. Aber die CD Sammlung ist tabu, nicht weil es irgendeinen pädagogischen Sinn macht, sondern weil wir etwas verrückt sind und die runden Scheiben für heilig erklärt haben. Die beste Grenze und der wenigste Stress ist da allerdings nicht, dem Kind das immer wieder zu verbieten, sondern ein absperrbarer Schrank oder die oberen Regalböden. Das Kind muss doch lernen, dass es nicht alles nehmen kann und dass es Dinge gibt, die anderen gehören. Das lernt es doch auch, wenn es nicht drankommt und der Schrank abgesperrt ist.
In dem Zusammenhang wird oft argumentiert, dass ein Kind Grenzen zur Orientierung braucht. Das Kind braucht Orientierung, dazu ist es aber wichtiger, dass der Erwachsene die Grenze als seine Grenze definiert. Das Kind braucht den Erwachsenen und die Beziehung. Ein Kind orientiert sich zumindest in den ersten 4-5 Jahren vorwiegend an den Menschen, mit denen es verbunden ist. Es hält sich nicht an abstrakte Ge- und Verbote, sondern das Kind versucht sich der Beziehungsperson anzupassen. Und wenn das Bonbon, das es nicht essen soll, zu attraktiv ist, dann ist schlicht die Selbstkontrolle noch zu gering und alle Verbote hin oder her, das Bonbon wird in den Mund gesteckt. Es sei denn, der Erwachsene ist schneller und nimmt das Bonbon weg.
Kinder brauchen einen geregelten Tagesablauf. Kinder sind sehr anpassungsfähig und sie brauchen auch hier Erwachsene, die wissen, was sie tun und das mit Überzeugung. In Südeuropa beobachtet man oft Kleinkinder, die um 20, 21 und gar 22 Uhr noch hellwach sind und draußen spielen. Das ist nicht falsch. In Luxemburg und Deutschland werden Kinder, wie wir es selber bei einer Nachbarin erlebt haben, ab 17 Uhr bettfertig gemacht und schlummern dann um 18Uhr. Auch das ist nicht unbedingt falsch. Was mich aber immer wieder ärgert, ist, wenn argumentiert wird, dass das eine oder das andere so für die Kinder am besten sei und dass die Kleinen das brauchen. Die Kinder brauchen das nicht. Die einen Eltern wollen ab 18 Uhr ihre Ruhe haben und die anderen zusammen mit ihren Kindern den Abend genießen. Das ist so in Ordnung, aber bitte hört auf zu sagen, die Kinder bräuchten das.
Kinder müssen auch nicht jeden Tag um die gleiche Uhrzeit essen, sofern sie etwas Ordentliches bekommen, wenn sie Hunger haben. Um 7 Uhr Frühstück, um 12 Uhr Mittagessen und um 18 Uhr Abendessen und um 9:30 und 15:30 eine Zwischenmahlzeit. Wenn es in Einrichtungen oder Zuhause so organisatorisch gut ist und den Erwachsenen Klarheit und Struktur gibt, dann ist das gut und richtig. Aber bitte: Es sind nicht die Kinder, die das brauchen. Die können ja noch nicht einmal die Uhr lesen. Probieren Sie es aus! Kochen Sie schon um 10 Uhr Mittag. Kein 3 oder 4 Jähriger wird auf die Uhr schauen und sagen: “Aber es ist doch noch viel zu früh!” Wenn das Kind Hunger hat wird es essen, wenn nicht, dann nicht. Letztens waren wir um halb zehn bei der Oma und diese hatte gerade die Suppe fürs Mittagessen vorbereitet. Mit welcher Freude und welchem Genuss unsere Kinder jeweils 2 Teller Suppe gegessen haben, ist unbeschreiblich. Gemüsesuppe morgens um 10 Uhr – warum nicht?
Mein persönlicher Essens-Rhythmus, der sich in längeren Urlauben einstellt, ist eher der folgende: 2-3 Stunden nach dem Aufstehen Essen (kein Frühstück sondern “richtig”), dann so gegen 16 Uhr nochmal und wenn es dunkel ist, noch einmal. Auch dieser Rhythmus ist nicht richtig oder falsch, es ist nur meiner, wenn ich Zeit habe. Und an manchen anderen Tagen esse ich sozusagen dauernd etwas Kleines.
Wenn wir die Kinder also an die Essenszeiten gewöhnen wollen, die dem Industriearbeiter entsprochen haben, dann können wir das tun aber – auch hier wieder nicht, weil die Kinder das brauchen, sondern weil die Industrie das gebraucht hat. Diese Art Industrie wird es, wenn die Kinder von heute Erwachsen sind, so nicht mehr geben und derjenige, der dann um 12 zum Mittagessen muss – mitten in einem wichtigen Video-Meeting mit Menschen in anderen Kontinenten und Zeitzonen – wird schlecht aussehen. „Entschuldigung – aber bei uns ist es gerade 12 Uhr. Ich gehe dann mal Essen. Mahlzeit“.
Um es nochmal zusammenzufassen: Mir geht es darum, dass wir Erwachsene für uns und unsere Bedürfnisse Verantwortung übernehmen und dazu stehen. Es gibt sicher Bedürfnisse der Kinder, auf die Erwachsenen eingehen sollen und Erwachsene haben auch manchmal den Weitblick und können Dinge anders beurteilen als Kinder. Hier sollen sie Verantwortung für die Kinder übernehmen, ganz klar. Aber mich nervt, wenn mit dem Kindeswohl argumentiert wird, wenn es um ganz andere Dinge geht. Da wünsche ich mir mehr Aufrichtigkeit der Erwachsenen den Kindern gegenüber und mehr Redlichkeit in den Diskussionen darüber, was Kinder wirklich brauchen.
Karin Weyer,
Dipl.Psychologin, KaSuNoMa
Artikel aus unserer Elternzeitschrift « baby info » 07/2015