Das Stillen von Zwillingen
Wenn werdende Eltern die Nachricht erhalten, dass sie Zwillinge erwarten, sind sie zuerst einmal etwas geschockt und es stellen sich zwiespältige Gefühle ein. Denn abgesehen davon, dass sich auf einmal zwei anstelle von einem Baby ankündigen, werden Zwillingsschwangerschaften als Risikoschwangerschaften eingestuft.
Den zukünftigen Zwillingseltern stellen sich viele Fragen: Wie entwickelt sich die Schwangerschaft? Werden die Babys zu früh zur Welt kommen? Ist ein Kaiserschnitt erforderlich? Wie wird der Alltag mit zwei Babys aussehen? Benötigt die Familie dann Hilfe im Haushalt?
Eine Frau, die plant ihr Baby zu stillen, wird sich auch die Frage stellen, ob das Stillen von zwei Babys überhaupt möglich ist. Wird schon das Stillen eines Babys in verschiedenen Situationen oftmals angezweifelt – so ist das bei Zwillingen erst recht der Fall! Es kommt immer noch vor, dass zukünftigen Zwillingsmüttern von vornherein vom Stillen abgeraten wird, nach dem Motto: „Das ist doch viel zu anstrengend“, oder „Das kannst Du doch gar nicht schaffen“, oder „Wie willst Du denn genug Milch für zwei Babys haben?“. Dabei ist es durchaus möglich, zwei Babys zu stillen!
Das Stillen von Zwillingen hat für Mutter und Kinder viele Vorteile:
Das Stillen trägt dazu bei, dass sich die Gebärmutter schneller zurückbildet. Das ist nach einer Zwillingsschwangerschaft besonders wichtig, weil die Gebärmutter sich besonders stark ausdehnen musste.
Das Stillen von Zwillingen hilft Zeit zu sparen (etwa 8-10 Stunden pro Woche in der Annahme, dass die Babys manchmal zusammen und manchmal separat angelegt werden). Das Einkaufen und Vorbereiten von Babynahrung entfällt, auch das Spülen und Sterilisieren von Flaschen und Saugern.
Die Stillhormone helfen der Mutter entspannter zu sein – das ist bei Zwillingen ein sehr wichtiger Faktor!
Stillen bedeutet automatisch, dass die Mutter viel Hautkontakt zu beiden Babys hat. Das ist besonders wichtig, wenn sie vielleicht von einem oder beiden Babys eine zeitlang getrennt war.
Das Stillen trägt dazu bei, die Babys vor Krankheiten zu schützen. Eine stillende Zwillingsmutter wird im ersten Lebensjahr sehr viel weniger Zeit damit verbringen, sich um ihre kranken Babys zu kümmern – ein weiteres, sehr wichtiges Argument für das Stillen von Zwillingen.
Muttermilch ist immer und überall sofort verfügbar, was für eine Zwillingsmutter ganz besonders praktisch ist.
Ein interessanter Vorteil ist auch der finanzielle Aspekt: etwa 150.- € beträgt die monatliche Ersparnis gegenüber industriell hergestellter Säuglingsmilch.
Ist die werdende Mutter entschlossen, ihre Zwillinge zu stillen, macht eine gute Stillvorbereitung noch mehr Sinn als bei nur einem Baby! Zwillingsmüttern wird häufig vom Stillen abgeraten oder sie werden durch widersprüchliche Informationen sehr verunsichert.
Auf was kommt es nun an beim Stillen von Zwillingen?
Im Prinzip gelten genau dieselben Regeln wie beim Stillen von einem Baby:
1. Eine natürliche Geburt (sofern das möglich ist) begünstigt den Stillbeginn. Zwillingsmüttern wird oft zu einem Kaiserschnitt geraten, obwohl es durchaus möglich ist, Zwillinge auf normalem Weg zur Welt zu bringen. Es kann vielleicht von Nutzen sein, dazu die Meinung eines zweiten Gynäkologen einzuholen, der Erfahrung mit Zwillingsgeburten hat.
2. Ein gutes Bonding (der direkte Haut-zu-Haut-Kontakt unmittelbar nach der Geburt, wobei die Babys auf den Bauch der Mutter gelegt werden, damit sie selbst zur Brust hochkrabbeln und ein erstes Mal trinken können) sofort nach der Geburt begünstigt ebenfalls einen optimalen Stillbeginn. Ist das Bonding unmittelbar nach der Geburt nicht möglich, kann es einige Stunden oder Tage später nachgeholt werden.
3. Es ist sehr wichtig, dass die Milchbildung optimal angeregt wird. Deshalb sollten von Anfang an beide Babys angelegt werden! Nur so ist es möglich, genügend Milch für zwei Kinder zu bilden! Ein späterer Stillbeginn ist zwar immer noch möglich, dann ist es allerdings schwieriger, die Milchbildung an beide Babys anzupassen. Wenn zu Beginn nur ein Baby direkt an der Brust trinken kann, sollte für das andere unbedingt abgepumpt werden. Zum einen wird damit eine ausreichende Milchbildung für beide Babys garantiert und zum anderen erhält das von seiner Mutter getrennte Baby, auch von Anfang an Muttermilch. Müssen nun beide Babys von ihrer Mutter getrennt werden – weil sie vielleicht zu früh zur Welt gekommen sind – sollte die Mutter auf jeden Fall mit einer vollautomatischen Doppelpumpe abpumpen, um ihre Milchbildung in Gang zu bringen. Im Idealfall sollte so oft gepumpt werden wie ein Neugeborenes normalerweise trinkt (etwa 6-8-10x in 24 Stunden, wobei die Pumpfrequenz langsam gesteigert werden kann – je nach dem gesundheitlichen Zustand der Mutter).
4. Eine Zwillingsmutter sollte von Anfang an verschiedene Stillpositionen gezeigt bekommen, die es ermöglichen, beide Babys gleichzeitig anzulegen. Das gleichzeitige Anlegen hat – genau wie das Doppelpumpen – wichtige Vorteile: zum einen die Zeitersparnis (die Hälfte der Zeit) und zum anderen eine automatische Steigerung der Milchmenge, da durch die gleichzeitige Stimulation beider Brüste der Prolaktinspiegel ansteigt. Ein anderer wichtiger Vorteil beim gleichzeitigen Stillen von Zwillingen ist, dass das Baby, welches kräftiger saugt, den Milchspendereflex auslösen und somit dem anderen Kind das Trinken erleichtern kann. Natürlich erfordert gleichzeitiges Anlegen beider Babys etwas Übung und manche Mütter ziehen es auch vor, ein Baby nach dem anderen zu stillen. Trotzdem sollte eine Zwillingsmutter das gleichzeitige Stillen beider Kinder von Zeit zu Zeit in Erwägung ziehen – vor allem nachts – um genug Schlaf zu bekommen.
5. Sollte der andere Zwilling immer zum Stillen geweckt werden, damit beide Kinder gleichzeitig trinken können und das Stillen so wenig wie möglich Zeit in Anspruch nimmt? Diese Frage lässt sich nicht einfach mit ja oder nein beantworten. Es ist aber auf jeden Fall eine Überlegung wert, zumindest nachts zu versuchen, den schlafenden Zwilling aufzuwecken und beide Kinder zusammen anzulegen, damit die Mutter so viel Schlaf wie möglich bekommt. Manche Zwillingsmütter möchten auch ganz bewusst mit jedem Kind etwas Zeit alleine genießen. Es hängt von verschiedenen Faktoren ab, welche Lösung für welches Mutter-Zwillingspaar am besten ist.
6. Sollte jeder Zwilling „seine“ Brust bekommen, oder ist es besser, wenn jedes Baby abwechselnd beide Brüste angeboten bekommt? Bei dieser Frage gilt es zu beachten, wie beide Babys trinken. Haben sie (wie es oft der Fall ist) unterschiedliche Trinkmuster, ist es auf jeden Fall ratsam, beiden Babys abwechselnd beide Seiten anzubieten, damit die Brüste gleichmäßig stimuliert werden.
7. Ein letzter wichtiger Punkt betrifft die Ernährung. Genauso wie für jede stillende Mutter gilt, dass eine Zwillingsmutter während der Stillzeit auf eine vermehrte Kalorienzufuhr achten sollte (etwa 200-500 Kilokalorien mehr bei einem Baby – bei einer Zwillingsmutter also die doppelte Kalorienanzahl). Sie muss also unbedingt darauf achten, genug zu essen und zu trinken! Manche Zwillingsmütter berichten, dass sie während der Stillzeit einen unglaublichen Appetit entwickelt und dabei sogar noch abgenommen haben!
Stillpositionen für das Stillen von Zwillingen:
Der doppelte Rückengriff (besser bekannt als Fußballhaltung). Diese Stillposition ist wohl die bekannteste für das Stillen von Zwillingen. Bei dieser Position sitzt die Mutter aufrecht und beide Babys liegen jeweils auf Kissen seitlich der Mutter mit den Füssen in ihrem Rücken.
Der kombinierte Wiegen- und Rückengriff: Hierbei wird ein Zwilling im Rückengriff angelegt und der andere im Wiegengriff. (Siehe Bild auf der vorige Seite)
Die Parallelhaltung: Bei dieser Stillposition zeigen die Körper der Babys in dieselbe Richtung. Das eine Baby wird ganz normal in der Wiegenhaltung angelegt, wobei die Mutter es mit ihrem Unterarm abstützt. Der Körper des anderen Babys zeigt in die gleiche Richtung wie die seines Zwillings, wobei die Mutter seinen Kopf mit einer Hand abstützen muss.
X-Position: Beide Babys werden im Wiegengriff angelegt, wobei die Beine beider Babys sich vor dem Bauch der Mutter überkreuzen.
Die V-Position: Die Mutter liegt mit leicht erhöhtem Oberkörper gut mit Kissen abgestützt auf dem Rücken. Beide Babys werden so angelegt, dass ihre Beine im Schoss der Mutter ein V bilden. Diese Position ist sehr bequem und daher auch gut für nachts geeignet.
Jede Position, die für die Mutter und die Babys gut funktioniert, ist in Ordnung! Wichtig ist vor allem die Bequemlichkeit der Mutter. Sie sollte es sich mit genügend Kissen möglichst gemütlich machen, um so gut abgestützt zu stillen. Oft ist auch ein gutes Zwillingsstillkissen hilfreich.
Der Alltag mit Zwillingen:
Ein gut organisierter und durchdachter Alltag ist das A und O für das Gelingen des Stillens von Zwillingen. Schon vor der Geburt sollten die zukünftigen Eltern sich überlegen, wie und wo sie Hilfe bekommen können. Gibt es Familienangehörige und / oder Freunde, die in der Nähe wohnen und bereit sind, zu helfen? Besteht finanziell vielleicht die Möglichkeit, eine Haushaltshilfe (zumindest während der ersten anstrengenden Monate) in Anspruch zu nehmen? Gibt es hilfsbereite Nachbarn? Werdende Zwillingseltern können sich ein gut funktionierendes Hilfsnetz aufbauen, damit sie vor allem die ersten Monate gut überstehen. Eine stillende Zwillingsmutter kann sich darauf einstellen , dass sie die ersten Wochen bzw. Monate nichts viel Anderes machen wird, als sich um ihre Babys zu kümmern.
Gibt es bereits ein oder mehrere Geschwisterkinder in der Familie, macht es Sinn, auch diese gut auf die Ankunft der Zwillinge vorzubereiten. Die ganze Haushaltsorganisation sollte neu durchdacht und so einfach und praktisch wie möglich gehalten werden. So ist es zum Beispiel hilfreich, mehrere Wickel- und Schlafplätze für die Babys einzurichten, damit immer alles schnell bei Hand und leicht zugänglich ist. Auch die Einrichtung einer oder mehrerer „Stillplätze“ mit genügend Kissen zum Abstützen, Getränken und Snacks für die Mutter und Spielsachen sowie Büchern für die Geschwisterkinder kann sehr hilfreich sein.
Zwillinge fühlen sich wohler und schlafen auch normalerweise besser, wenn man sie zusammen in ein Bettchen oder eine Wiege legt. Für das Stillen nachts ist es am einfachsten, das Bettchen der Babys ins Elternschlafzimmer zu stellen.
Die Unterstützung des Partners und der Familie:
Möchte eine werdende Zwillingsmutter stillen, braucht sie besondere Unterstützung von ihrem Partner und den nahen Familienangehörigen und Freunden.
Wird das Stillen immer wieder infrage gestellt oder die Mutter sogar kritisiert, dann wird es sehr schwer – wenn nicht gar unmöglich, zu stillen. Deshalb sollten der Partner und die nahen Angehörigen, wenn möglich, in alle Vorbereitungen und vor allem auch in die Stillvorbereitungen miteinbezogen werden.
Abschließend möchte ich noch erwähnen, dass Fälle von Drillingen und sogar Vierlingen bekannt sind, die erfolgreich gestillt wurden! Das Stillen von Zwillingen lohnt sich auf jeden Fall und, wie eine erfahrene Zwillingsmutter behauptet: „Die Probleme bei gestillten Zwillingen sind Zwillingsprobleme und keine Stillprobleme“.
Ute Rock,
Laktationsberaterin IBCLC