Das « Wochenbett » scheint ein wenig aus der Mode gekommen zu sein. Tatsächlich ist es ein etwas veralteter Begriff, der nur selten in unserem Wortschatz auftaucht. Dennoch handelt es sich um eine kostbare Zeit, die Eltern nur einmal oder höchstens ein paarmal erleben.
Wikipedia definiert das Wochenbett folgendermaßen:
„Als Wochenbett oder Kindbett bezeichnet man die Zeitspanne vom Ende der Entbindung bis zur Rückbildung der schwangerschafts- und geburtsbedingten Veränderungen, was typischerweise sechs bis acht Wochen dauert. Während dieser Zeit erholt sich die Mutter von Schwangerschaft und Geburt. Bei stillenden Müttern beginnt innerhalb von drei bis vier Tagen die Bildung von Muttermilch anstelle des zuvor produzierten Kolostrums. Eventuelle Geburtsverletzungen heilen in der Zeit des Wochenbettes.“
Ja, nüchtern betrachtet ist es genau das. Vom körperlichen und seelischen Erleben her ist es aber sehr viel mehr und es fühlt sich sehr viel intensiver an. Auf der körperlichen Ebene stehen bei der jungen Mutter in den ersten Tagen Blutungen, möglicherweise schmerzhafte Nachwehen, eine geschwollene Dammnaht, die normales Sitzen erschwert, Schlafmangel, der Milcheinschuss und dementsprechend pralle und schmerzende Brüste im Vordergrund. Auf der emotionalen Ebene ist es besonders beim ersten Kind der Übergang zu einer ganz neuen Lebensphase, der Elternschaft. Ein Neugeborenes in Empfang zu nehmen, es kennenzulernen, seine Bedürfnisse zu erkennen und darauf einzugehen und das 24 Stunden pro Tag an 7 Tagen pro Woche, das sind enorme Herausforderungen. Besonders, wenn nach einigen Tagen der hormonelle Umschwung eine große emotionale Sensibilität bei der jungen Mutter bewirkt. Dessen sind sich die wenigsten Eltern im Vorfeld bewusst und dementsprechend schwierig gestaltet sich die Anpassung an die neue Situation. Erschwerend kann noch hinzukommen, dass das Ereignis „Geburt“ verarbeitet werden muss, was umso schwieriger ist, je stärker die Geburtserfahrung von den Erwartungen und Wünschen des Elternpaars abgewichen ist.
Um diese Herausforderungen zu bewältigen, braucht die junge Mutter Zeit, Schutz, Ruhe und Unterstützung. Ein paar Tage oder ein, zwei Wochen reichen dafür nicht aus und so weiter zu machen wie bisher, nur eben mit Kind, funktioniert auch nicht. Nicht umsonst gab es früher in allen Kulturen Rituale und Gebräuche, die dazu beizutragen sollten, die körperlichen und seelischen Wunden heilen zu lassen, die negativen Einflüsse (böse Geister) abzuwehren und die Frau in ihrer Mutterrolle zu bestärken. Davon ist heute wenig übriggeblieben. Nach einer medizinisch gut überwachten Schwangerschaft, einer Geburt, die möglicherweise weniger ein natürlicher Prozess, sondern eher eine planbare, fremdbestimmte und technisch gemanagte Angelegenheit ist, kann es sein, dass sich das Selbstvertrauen der Frau in ihre Stärke und Kompetenz als Mutter nicht gut entwickeln konnte und sie zudem nicht auf das vorbereitet ist, was sie in ihrem neuen Alltag erwartet. Hinzu kommt, dass in unserer schnelllebigen Gesellschaft die Erwartungen an das Frausein von Funktionalität geprägt sind und dass auch die Frauen selbst höchste Ansprüche an sich selbst stellen. Da ist wenig Raum für Schonung, Bettruhe, sich ungestört als Eltern und Paar begegnen, den neuen Erdenbürger liebevoll zu versorgen und eventuelle Geschwisterkinder in ihrer neuen Rolle zu begleiten. Aber genau das alles ist im Wochenbett am wichtigsten. Weil das Wochenbett so eine gewaltige Umbruchphase darstellt, hat der Gesetzgeber eine Schonzeit von 8 bzw. 12 Wochen in Form des nachgeburtlichen Mutterschaftsurlaubes eingeführt.
Dass diese Erkenntnis immer mehr in den Hintergrund rückt, führte in Deutschland dazu, dass „Der Runde Tisch“ des Arbeitskreises Frauengesundheit in Medizin, Psychotherapie und Gesellschaft e.V. (AKF) ein Positionspapier zum Thema „Lebensphase Eltern werden“ ausgearbeitet hat. Der Titel lautet: „Es ist höchste Zeit, das Wochenbett als wichtige Phase des Geburtsprozesses gesellschaftlich anzuerkennen“ (Klick). Aus diesem Dokument möchten wir an dieser Stelle gerne einige Aussagen zitieren:
„Das Wochenbett – eine bedeutsame Phase der Bindungsentwicklung
Eine sichere Bindung zur Mutter bzw. zur nächsten Bezugsperson gilt als Voraussetzung für einen gelingenden Umgang mit Stress und Emotionen und wird als wesentlicher Schutzfaktor gegenüber späteren belastenden Erfahrungen und für soziale Kompetenz angesehen (Bowlby, 2014; Brisch et. al., 2002). Das Herzstück für den Aufbau einer sicheren Bindung ist eine sofortige und feinfühlige Reaktion der Eltern auf die Signale des Neugeborenen – und zwar von Beginn an und zu jeder Tageszeit. Das Wochenbett stellt einen geschützten Raum nicht nur für die Erholung von der Geburt, sondern gerade auch für die „emotionale Geburt“ der Frau als Mutter, das gegenseitige Kennenlernen und für das Hineinwachsen der Eltern in ihre neue Lebenssituation dar.
Gesundheitliche Folgen einer frühen Überforderung
Mütter beschreiben häufig, dass beim Aufbau der Stillbeziehung die Gefühle Achterbahn fahren und es Wochen dauert, bis sich Routine einstellt (Hinsliff-Smith et al., 2014). Stress und Überforderung können zum frühen Abstillen des Neugeborenen führen (Froehlich et al., 2015). … So kommen die bekannten, vielfältigen gesundheitlichen Vorteile des Voll- Stillens nur wenigen Müttern und Kindern zugute. Außerdem können Ruhelosigkeit, Sorgen, Unsicherheit in der Beziehung zum Kind, Schlaflosigkeit oder familiäre Konflikte auftreten, die sich zu nachhaltigen Gesundheitsschäden bei Mutter und Kind entwickeln können. Angstzustände, tiefgreifende Erschöpfung, mangelnde Empathie für die Bedürfnisse des Kindes, Vernachlässigung der Selbstsorge bis hin zur Depression oder Gefährdung der Bindungsbeziehung können die Folge sein (Beetz et. al., 2013; Fahey & Shenassa, 2013; McMahon et. al., 2005).“
Das Positionspapier beinhaltet auch Forderungen an Politik und Gesellschaft. Das Thema psychosoziale Bedeutung, Psychodynamik und Bindungsentwicklung im Wochenbett müsse vermehrt in die Ausbildung der Gesundheits- und Sozialberufe einfließen und außerdem in den entsprechenden Weiterbildungsmaßnahmen stärker thematisiert werden. Ebenfalls wird empfohlen, dass in der Schwangerenbetreuung und Geburtsvorbereitung dem Wochenbett eine größere Bedeutung zugemessen wird. Der AKF unterstützt die Forderung der Bundesfamilienministerin nach einer 14 tägigen Auszeit für Väter nach der Geburt. Wir hoffen, dass es bald auch in Luxemburg möglich sein wird, dass der Vater nach der Geburt seines Kindes einen längeren Vaterschaftsurlaub als die momentan gesetzlich vorgesehenen zwei Tage in Anspruch nehmen kann.
Gerade der letzte Punkt muss hervorgestrichen werden. Die Teilnahme des frisch gebackenen anderen Elternteils, meist des Vaters, am Wochenbett ist besonders wichtig. Einerseits, um vom ersten Tag an die Möglichkeit zu haben, mit seinem Baby zusammen zu sein und sich an diese neue Rolle heranzutasten. Andererseits, um die Partnerin emotional zu unterstützen, die „bösen Geister“ abzuwehren und notwendige Alltagspflichten zu übernehmen.
Abschließend noch einige Empfehlungen fürs Wochenbett:
Gönnen Sie sich eine Auszeit, denn das Leben geht weiter, auch wenn Sie sich für eine Zeitspanne ausklinken. Drosseln Sie Ihr Tempo, lassen Sie sich Zeit, versuchen Sie nachmittags ein Schläfchen zu machen, wenn auch Ihr Baby schläft, insbesondere, wenn die Nächte anstrengend sind.
Wenn Sie Stillprobleme haben, sorgen Sie frühzeitig für professionelle Unterstützung. (Stillberatung)
Nehmen Sie Hilfe an, wenn sie Ihnen von Familie und Freunden angeboten wird. Sie müssen als Eltern nicht sofort wieder alles im Griff haben. Einkauf, Wäsche und andere Haushaltsaufgaben können auch Ihnen nahestehende Menschen übernehmen. Diese freuen sich, wenn sie helfen können.
Vermeiden Sie anhaltende Besucherströme, besonders, wenn diese den Anspruch haben, zudem beköstigt zu werden oder wenn sie nicht von selbst merken, wann die Besuchszeit vorbei sein sollte.
Und, ganz wichtig: Genießen Sie die ungestörten Schmusestunden mit Ihrem Baby. In den „Baby-Flitterwochen“ haben Sie als Eltern die Gelegenheit, ihrem Baby ganz nahe zu sein, es kennen und verstehen zu lernen und sein Wesen zu entdecken. Die Alltagspflichten können warten, SMS und Mails auch, die Türklingel kann abgestellt werden, hängen Sie einfach ein Schild an die Tür: „Babyflitterwochen“.
Corinne Lauterbour-Rohla
Hebamme, ehm. Geschäftsleitung der IL
Ein Artikel, der in der Elternzeitschrift „baby info“ veröffentlicht wurde (nr 3/2017)
Der ideale Besuch nach der Geburt eines Babys…
- …Hat vorher mit den frisch gebackenen Eltern vereinbart, ob, und wenn ja, wann ein Besuch erwünscht ist und erscheint dann auch pünktlich.
- …Hat ebenfalls nachgefragt, ob eventuelle eigene Kinder mitkommen dürfen (natürlich nur, wenn diese kein Heer von Krankheitserregern einschleppen – das gilt ebenfalls für alle Erwachsenen).
- …Hat kurz vor dem Besuch seine Hände gewaschen und riecht weder nach Zigarettenrauch noch nach starkem Parfüm.
- …Falls Sie ein Geschenk fürs Baby mitbringen, vergessen Sie nicht eventuelle Geschwisterkinder.
- …War vorher für die junge Familie einkaufen oder bringt was Kleines zum Essen mit für die nächste Mahlzeit.
- …Hat nicht den Anspruch, bedient und verköstigt zu werden, sondern bietet eher an, eine Tasse Milchbildungstee oder Frauenmanteltee für die junge Mutter zu kochen.
- …Hält sich zurück mit „guten“ Ratschlägen (es sei denn, diese werden ausdrücklich gewünscht) und gibt auch nicht ungefragt seine eigenen Erfahrungen zum Besten.
- …Hat nicht das unbändige Verlangen, das Neugeborene in den Arm zu nehmen, es sei denn, die junge Mutter bietet es selbst an (und nutzt vielleicht die Gelegenheit, schnell zu duschen, etwas zu essen, usw.).
- …Ist ein guter Zuhörer und bietet den jungen Eltern Raum an, um von der Geburt und den ersten Tagen mit ihrem Baby zu erzählen.
- …Reagiert sensibel, wenn das Baby erste Hungerzeichen zeigt und gestillt werden möchte; möglicherweise wünscht die junge Mutter dabei keine Zuschauer. Vielleicht ist nun ein guter Zeitpunkt, sich zu verabschieden.
- Ein Besuch im Wochenbett sollte kurz gehalten werden.